Untergang by Jérôme Ferrari & Aus dem Französischen von Christian Ruzicska

Untergang by Jérôme Ferrari & Aus dem Französischen von Christian Ruzicska

Autor:Jérôme Ferrari & Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Secession Verlag
veröffentlicht: 2012-07-07T16:00:00+00:00


Und jetzt spähte sie am Seitenfenster nach dem Auftauchen der Balearen, die ihr das Versprechen eines nahenden Trostes gaben, demjenigen der Rückkehr in die Sanftmut eines Geburtslandes, das sie gar nicht hatte zur Welt kommen sehen, und ihr Herz begann heftiger zu schlagen, bis sie schließlich die kieselgraue Linie der afrikanischen Küste erblickte und wusste, dass sie endlich heimkehrte. Denn inzwischen war es in Frankreich, wo sie sich im Exil fühlte, als hätte ihr die Tatsache, dass sie nicht mehr tagtäglich die gleiche Luft atmete wir ihre Landsleute, deren Sorgen unverständlich werden lassen, und ebenso waren die Worte, die man an sie richtete, vergeblich gesprochen, eine rätselhafte Grenze war um ihren Körper herum gezogen, eine aus transparentem Glas gemachte Grenze, die zu überschreiten sie weder die Kraft besaß noch den Wunsch. Es verlangte ihr ungeheure Anstrengungen ab, der banalsten Unterhaltung zu folgen, und all ihren Anstrengungen zum Trotz gelang es ihr nicht, sie musste ihre Gesprächspartner immer wieder bitten zu wiederholen, was grade gesagt worden war, es sei denn, sie hatte bereits aufgegeben, ihnen zu folgen, um sich in die Stille hinter ihrer unsichtbaren Grenze zurückzuziehen, und der Mann, der bald schon nicht mehr das Leben mit ihr teilen würde, war davon ständig verletzt, er machte ihr Vorwürfe, die sie nicht einmal mehr abwehrte, denn sie hatte es aufgegeben, gegen ihre eigene Kälte anzukämpfen, gegen ihre Ungeniertheit und Ungerechtigkeit, die sich in ihrem boshaften Herzen niedergelassen hatten. Erst am Flughafen von Algier, in den Räumlichkeiten der Universität und schließlich in Annaba war es ihr möglich, wieder ganz zu ihrer Güte zu finden. Sie ertrug leichten Herzens die nicht enden wollenden Warteschlangen an den Schaltern der Grenzpolizei, die Staus und Müllablagerungen unter freiem Himmel, die Wasserunterbrechungen, die Personenkontrollen an Straßensperren, und die stalinistische Hässlichkeit des riesigen Hotel d’État, in dem das komplette Team in Annaba untergebracht war, mit seinen abrissreifen Zimmern, die auf ausgestorbene Flure führten, schien ihr beinahe herzergreifend. Sie beklagte sich über nichts, ihre Zustimmung war eine umfassende, denn jede Welt ist wie ein Mensch, sie bildet ein Ganzes, bei dem es unmöglich ist, sich nach Gutdünken zu bedienen, und wie ein Ganzes muss man sie entweder von sich weisen oder akzeptieren, die Blätter und die Frucht, die Spreu und den Weizen, die Niedertracht und die Anmut. In einer Schatulle aus Staub und Schmutz ruhten der hohe Himmel der Bucht, die Basilika des Augustinus und das Schmuckstück einer unerschöpflichen Großzügigkeit, deren Glanz auf den Staub und den Schmutz abstrahlte. Alle vierzehn Tage aber flog sie dennoch heim nach Paris, um das Wochenende bei ihrem Vater zu verbringen. Als sie ihnen erzählt hatte, dass er krank war, zeigten sich ihr gegenüber alle Kollegen fürsorglich. Man bot ihr kiloweise Kuchen für ihren Vater an sowie Gebete zur Genesung. Massinissa Guermat bestand darauf, sie zum Flughafen zu begleiten, und er erwartete sie auch bei ihrer Rückkehr. Anfang April saß sie mit ihrer Mutter am Krankenhausbett, in dem ihr Vater nach seiner Behandlung versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Er hatte sich den Kopf rasiert, um nicht sein Haar ausfallen sehen zu müssen.



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